6. Oktober 2025 | Janine Praxmarer
„Sie sind noch zu jung, um das zu verstehen.“
„Für die Stelle suchen wir jemanden mit mehr Energie.“
„Die Jugend von heute will nicht mehr arbeiten.“
„Mit über 50? Da lohnt sich die Einarbeitung nicht mehr.“
Solche Sätze klingen harmlos – doch sie sind Symptome eines tief verwurzelten Vorurteils: Altersdiskriminierung.
Und sie betrifft längst nicht nur Senior:innen,
sondern auch junge Menschen.
Zahlen, die nachdenklich machen
Altersdiskriminierung ist kein Randthema – sie betrifft fast die Hälfte der Bevölkerung im deutschsprachigen Raum
In Deutschland geben laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2025) 45 % der Menschen an, bereits aufgrund ihres Alters benachteiligt worden zu sein – also fast jede zweite Person. Besonders betroffen sind jüngere Erwachsene zwischen 16 und 44 Jahren, von denen über 52 % Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Doch auch mehr als ein Drittel der über 65-Jährigen (35 %) berichtet von Benachteiligungen – sei es im Job, im Gesundheitswesen oder im Alltag (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2025, Tagesschau, 2025).
In Österreich zeigt eine SORA-Studie im Auftrag der Arbeiterkammer Wien (2023) ein ähnliches Bild: 36 % der Menschen über 50 haben in den letzten drei Jahren Diskriminierung erlebt – 14 % davon explizit wegen ihres Alters. Besonders alarmierend: Rund 30 % der mittleren und großen Unternehmen beschäftigen keine einzige Person über 60 Jahre (SORA/AK Wien, 2023, ÖGB, 2024).
Auch in der Schweiz ist Altersdiskriminierung weit verbreitet. Laut einer Untersuchung des HR-Barometers berichten zwei Drittel der Beschäftigten, in ihren Unternehmen Altersvorurteile zu beobachten. Nur 14 % geben an, keinerlei negative Altersstereotype wahrzunehmen (Luzerner Zeitung, 2024).
Diese Zahlen machen deutlich: Altersdiskriminierung ist kein individuelles Problem – sie ist ein strukturelles.
Und sie betrifft Jung und Alt gleichermaßen.
Das Gesicht der Altersdiskriminierung – vier Geschichten, die weh tun sollten
Altersdiskriminierung passiert mitten in unserem Alltag – leise, unscheinbar, oft gut verpackt in vermeintlich sachliche Entscheidungen.
Doch hinter jeder Statistik steht ein Mensch, der spürt, was es heißt, auf sein Geburtsjahr reduziert zu werden.
- „Ich war perfekt qualifiziert – aber offenbar zu alt“
Als erfahrener IT-Projektleiter, 52 Jahre alt, mit langjähriger Expertise im ERP-Umfeld, bewarb ich mich auf eine Projektleiterstelle – mein Profil passte perfekt.
Doch es kam weder eine Rückmeldung noch eine Absage.
- „Ich musste lügen, um die Richtlinien einzuhalten“
Als HR-Manager hatte ich zwei Dossiers von Bewerbern – der eine 53, der andere 55 Jahre alt.
Obwohl beide ausgesprochen gut für die Stelle geeignet waren, durfte ich sie nicht zum Vorstellungsgespräch einladen, da die Vorgabe lautete: „Über 50-Jährige wollen wir nicht.“
In der Folge musste ich Ablehnungsgründe „erfinden“, ohne die Altersfrage anzusprechen.
- „Zu jung für Verantwortung – obwohl ich sie längst trage“
Leonie ist 27 und arbeitet als Projektkoordinatorin in einem internationalen Konzern.
Sie leitet ein Team, verantwortet Budgets, arbeitet mit Führungskräften aus aller Welt – und doch muss sie sich ständig beweisen.
„Ich bekomme oft zu hören, ich solle erstmal ‚mehr Erfahrung sammeln‘, bevor ich Entscheidungen treffe“, erzählt sie. „Wenn ich Vorschläge mache, werden sie oft übergangen – bis jemand Älteres sie wiederholt. Dann gelten sie plötzlich als gut.“
„Ich will gar nicht laut sein müssen, nur um ernst genommen zu werden. Ich will einfach als kompetent wahrgenommen werden – nicht als ‚jung und ehrgeizig‘.“
- „Du bist noch zu jung, um so viel Geld zu verdienen“
Jonas, 24, arbeitet im Vertrieb eines mittelständischen Unternehmens.
Er liefert Ergebnisse, übertrifft Ziele, trägt Verantwortung für Kund:innen, die doppelt so alt sind wie er.
Doch als er sein Gehalt neu verhandeln wollte, bekam er einen Satz zu hören, der ihn traf:
„Du bist noch zu jung, um so viel Geld zu verdienen.“
„Ich wollte über Leistung sprechen, nicht über mein Alter“, sagt er. „Aber anscheinend zählt das eine ohne das andere nicht.“
Vier Stimmen – zwei jung, zwei älter.
Und doch erzählen sie dieselbe Geschichte:
Altersdiskriminierung grenzt aus, spaltet und entwertet.
Sie nimmt den Jungen die Chance, Verantwortung zu tragen, und den Älteren das Recht, weiter etwas beizutragen.
Zeit, das Schweigen zu brechen –
ein Appell
Altersdiskriminierung ist kein Problem einzelner Generationen – sie ist ein Spiegel unserer Gesellschaft.
Solange wir Menschen nach Geburtsjahren sortieren, statt nach Fähigkeiten, Haltung und Herz, verlieren wir alle.
Wir müssen lernen, zuzuhören und das über Altersgrenzen hinweg.
Wir müssen neue Bilder vom Alter zeigen, in Unternehmen, Medien und im Alltag.
Und wir müssen mutig sein, wenn es darum geht, Vorurteile zu benennen und das auch dann, wenn sie uns selbst betreffen.
Denn am Ende geht es nicht nur um Jobs oder Karrierewege.
Es geht um Würde, Respekt und Gleichwertigkeit.
Quellen
- Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2025): Altersdiskriminierung in Deutschland – aktuelle Zahlen und Fakten.
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/aktuelles/DE/2025/20250325_pm_altersbericht.html - Tagesschau (2025): Umfrage: Fast jede zweite Person in Deutschland schon einmal wegen des Alters benachteiligt.
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/altersdiskriminierung-umfrage-100.html - SORA / Arbeiterkammer Wien (2023): Ungleichbehandlung älterer Arbeitnehmer:innen im Bewerbungsprozess.
https://forschungsnetzwerk.ams.at/dam/jcr%3A6ed43960-8e47-4981-a562-a2e4ef1b9220/2023_SORA_Bericht_AMS_Ungleichbehandlung_Aeltere_Bewerbungsprozess.pdf - ÖGB (2024): Zu alt für den Job? Diskriminierung älterer Arbeitnehmer:innen in Österreich.
https://www.oegb.at/der-oegb/bundeslaender/tirol/alle-meldungen/zu-alt-
Luzerner Zeitung (2024): Altersdiskriminierung in Schweizer Unternehmen: Studie zeigt Vorurteile auf.
https://www.luzernerzeitung.ch/wirtschaft/neue-studie-zeigt-altersdiskriminierung-ist-in-schweizer-unternehmen-stark-verbreitet-ld.1265564
Wie siehst du das?
Hast du selbst schon erlebt, dass du wegen deines Alters unterschätzt, übergangen oder ausgeschlossen wurdest – egal ob jung oder alt?
Teile deine Gedanken, Erfahrungen oder Wünsche unten in den Kommentaren.
Denn Veränderung beginnt genau hier: mit ehrlichen Geschichten und offenen Gesprächen.
Im nächsten Blog werden wir uns damit beschäftigen, welche Vorteile es hat, Menschen jeden Alters einzustellen – ohne Vorurteile und starre Altersgrenzen.
Freut euch auf praxisnahe Beispiele, Insights aus der Forschung und konkrete Strategien, wie Altersvielfalt zu einem echten Gewinn wird.


